AKH

Arbeitskreis Hexenprozesse / Friedrich Spee

 

K 13. Kirchliche Aufarbeitung der Hexenprozesse



Kirchen müssten sich institutionell ihrer historischen Schuld stellen

Sehr geehrter Herr Pfr. Hegeler,

durch einen Artikel in der „Straßen-Gazette“ von Brigitte Laufert über den Ev. Kirchentag in Dresden im Juni 2011 bin ich auf Ihre Bemühungen um eine kirchliche Aufarbeitung der Hexenprozesse gestoßen. Das dem Artikel vorangestellte Zitat von Ihnen: „Die größte Sünde ist das Vergessen“ hat mich sehr beeindruckt, da ich genau derselben Auffassung bin.

Im Rahmen eines hier an der Gemeinde angesiedelten „Forums Juden&Christen“ bin ich recht intensiv darum bemüht, den antijüdischen, bzw. antisemitischen Traditionen der Kirchen nachzugehen , wobei sich für mich immer wieder die Frage stellt : Wie wird eigentlich das grausige Unrecht, das die Kirchen in ihrer Vergangenheit unschuldigen, aber konfessionell nicht-konformen Menschen oder auch andersdenkenden religiösen Gruppen angetan haben, gesühnt, - bzw. wie kann es, da die Vergangenheit nicht rückholbar ist, überhaupt gesühnt werden?

Der oft gehörte Hinweis : „Aber das liegt doch schon alles so lange zurück !“ taugt überhaupt nicht, da der schlichte Zeitablauf keine geschehene Untat zu rechtfertigen vermag. Die Schande der Sklaverei, das unsägliche Unrecht der Ausrottung und Vertreibung der Indianer Nordamerikas bleibt große Schuld, auch wenn sich schon alle damit abgefunden haben mögen.

Ich vermute, die Unglaubwürdigkeit der Kirchen heute hängt auch mit der zu einem riesigen Berg angewachsenen historischen Schuld zusammen, der allen gut gemeinten moralischen Appellen usw. kirchlicher Stellen (etwa zu sozialen Problemen, zum Thema religiöser Toleranz usw.) einen faden Beigeschmack verleiht. Diese unerledigte historische Schuld vermag unsere Gegenwart sozusagen „nachhaltig“ zu vergiften, wenn wir nicht endlich anfangen, uns hiermit irgendwie zu befassen. Aber wie ist mit den „Opfern der Geschichte“ umzugehen?

Ich glaube, hier müßte mit der biblischen Umkehr-Forderung einmal auch in institutioneller Hinsicht ernst gemacht werden : Die Kirchen müßten sich selbst – institutionell – ihrer historischen Schuld stellen und prüfen, welche institutionelle Antwort sie hierauf zu geben hat. Und da müßte, wie ich meine, als allererstes eine umfassende und schonungslose Aufklärung und Dokumentation des ganzen historischen Versagens der Kirchen einsetzen.

Die individuellen Bemühungen, die es ja – wie Ihr Beispiel zeigt – gibt, sollten m.E. von den Kirchen in umfassender Weise aufgegriffen und zum Anlaß genommen werden , eine offizielle Dokumentations-und Forschungsstelle zu gründen zur Aufklärung kirchlichen Unrechts und dessen theologischer Interpretation. Dabei kann das Ergebnis nicht nur in verbalen Schuldbekenntnissen bestehen (um dann zur Tagesordnung überzugehen), sondern es müßte insbesondere der Frage nachgegangen werden, inwiefern nicht gerade bestimmte theologische Positionen und kirchliche Strukturen, die sich bei näherer Betrachtung vor dem Wort Gottes möglicherweise als Sünde herausstellen (ich denke hier nur an das Prinzip der institutionellen Selbsterhaltung, dem man nicht selten das Wort des Evangeliums aufopferte), noch heute weiterwirken.

Es würde mich sehr freuen, wenn Sie in diese Richtung weiterarbeiten.

Von dem bedeutenden Philosophen Walter Benjamin gibt es ja in Ansätzen eine Philosophie der „Opfer der Geschichte“. Vielleicht kennen Sie ihn ja.

 Seien Sie vielmals gegrüßt

Ihr F. S.