Schülerreferat 

Ein Pfarrer kämpfte gegen Folter und Hexenprozesse: Anton Praetorius

Zum 400-jährigen Gedenken an das Lebenswerk eines protestantischen Pfarrers

Inhalt:

 

Die Hexenprozesse und ihre Ursachen

Die Hexenprozesse fanden nicht im Mittelalter statt, sondern in der Frühen Neuzeit. Die letzte Hinrichtung einer Hexe in Europa fand im Jahr 1782 statt. Historiker gehen heute davon aus, dass in Europa etwa 60 000 Menschen in Hexenprozessen hingerichtet wurden, 25000 davon in Deutschland. Es wurden nicht nur Frauen angeklagt. 30 % waren Männer und Kinder. Die Opfer kamen überwiegend aus ärmeren Bevölkerungsschichten. Nach den neuesten Forschungen ist nicht davon auszugehen, dass es sich um eine spezielle Vernichtungskampagne von Hebammen, weisen Frauen oder Kräuterhexen handelte.

 

Historiker suchen heute noch nach Gründen, wie es zu den Hexenverfolgungen kommen konnte. Fest steht, dass im 16. und 17. Jahrhundert in Deutschland und Europa ein geistiges Klima herrschte, das die Verfolgungen begünstigte. Kriege, Krankheiten und Katastrophen erzeugten bei den Menschen Angst und Panik. Es herrschte Endzeitstimmung. Um 1590 wüteten die spanischen Truppen in Deutschland. Eine Pestepidemie raffte zum Teil die Hälfte der Bevölkerung hinweg. Überall in Mitteleuropa sanken die Temperaturen - die sogenannte kleine Eiszeit. Die Ernten verdarben, die Menschen litten Hunger, das Vieh starb. Krankheiten breiteten sich aus.

 

Wetterzauber durch zwei Hexen 

Prediger aller Konfessionen deuteten die "großen und schrecklichen Zeichen am Himmel" als Strafe Gottes wegen der Sünden der Menschen. Die Menschen fragten sich, wieso diese Katastrophen passierten. Sie führten in ihrer abergläubischen Weise alles auf Schadenszauber zurück. Hexen wurden beschuldigt, den Menschen gezielt Schaden zuzufügen. Man suchte Sündenböcke – und man fand sie. In der abergläubischen Bevölkerung begann eine Hetzjagd auf die ‚Hexen‘. In dem Buch "Hexenhammer" (1487) der Mönche Sprenger und Institoris erhielten die Richter Anleitungen für das Überführen von Hexen. Anklagepunkte in den Hexenprozessen waren: 1. Teufelspakt. 2. Teufelsbuhlschaft [Vermählung mit dem Teufel]. 3. Hexenflug und Teilnahme am Hexensabbat. 4. Schadenszauber gegen Wetter, Menschen und Tiere.

Die weltlichen Gerichte gingen nicht zimperlich mit den ‚Hexen‘ um. Die Angeklagten wurden gefoltert, bis sie ein umfassendes Geständnis ablegten. Ihre Körper suchte man nach Hautveränderungen, Zeichen des ‚Teufelspaktes‘, ab. Anschließend warf man sie, an Hände und Füße gefesselt, ins Wasser. Trieben sie oben, waren sie Hexen und wurden hingerichtet. Versanken sie, waren sie unschuldig. Entgegen landläufigen Ansichten und anders als auf dieser Abbildung wurden die Angeklagten an Stricken gebunden und wurden wieder aus dem Wasser herausgezogen. Das Ziel war Erzwingung eines Geständnisses, das die Voraussetzung für Verurteilung und Hinrichtung war.

 

 Wasserprobe

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Die Kirchen und die Hexenprozesse

Die Hexenverfolgungen wurden mit Billigung der Kirchen mehrere Jahrhunderte lang durchgeführt und theologisch legitimiert. Zentraler Vorwurf gegen die Angeklagten waren die Abkehr von Gott und der Pakt mit dem Teufel.

Seit 200 Jahren hat sich keine Kirche jemals offiziell zu den Hexenprozessen geäußert. Erst 1997 veröffentlichte die Synode der Evangelisch Lutherischen Kirche in Bayern eine Stellungnahme zu der Mitverantwortung der protestantischen Kirche zu den Hexenprozessen. Berühmte Protestanten wie Martin Luther oder Johannes Calvin glaubten an die Existenz von Hexen und forderten die gerichtliche Verfolgung von Zauberern und Hexen gemäß der Aussage des Alten Testaments ´Die Zauberinnen sollst du nicht am Leben lassen` (2.Mose 22,17). Weitgehend unbekannt ist, dass in evangelischen Gebieten die Scheiterhaufen genauso hell brannten wie in katholischen.

Von Papst Johannes Paul II. ist im Heiligen Jahr am 12. März 2000 das Schuldbekenntnis Mea Culpa um Vergebung für die Sünden der der Katholischen Kirche in aller Feierlichkeit und vor aller Welt gesprochen worden. Nach Interpretation der Kirche hat der Papst damit auch zu den Hexenverfolgungen Stellung bezogen. Wer den Wortlaut von „Mea Culpa“ studiert, stellt fest: Hexenverfolgung und Inquisition werden nicht beim Namen genannt. Der Papst hat sich nicht für die (Mit-)Schuld der Kirche entschuldigt, sondern diese »den Christen« angelastet, die »in manchen Zeiten der Geschichte bisweilen Methoden der Intoleranz zugelassen« hätten. Der Papst spricht vom „notwendigen Einsatz zum Schutz der Wahrheit“ von Christen. Einzelne Menschen der Kirche (aber nicht die Institution!) haben sich manchmal in der Wahl der Methoden vergriffen (Ist damit Folter gemeint?). Wie von einer Reihe von Beobachtern im Vorfeld bereits vermutet, erwies sich das vom Vatikan als "historisches Ereignis" bezeichnete "Mea Culpa" als vages und halbherziges Schuldbekenntnis.

Im Gegensatz zur landläufigen Überzeugung wurden die Hexenprozesse nicht von kirchlichen, sondern von weltlichen Gerichten durchgeführt. Eine Alleinschuld an den Hexenverfolgungen kann den Kirchen nicht angelastet werden, denn die Hexenprozesse wurden von allen damaligen gesellschaftlichen Institutionen und der gesamten Bevölkerung unterstützt und getragen. Obrigkeit (die fürstlichen Landesherren), Juristen, Universitäten, Kirchen und Bevölkerung stimmten überein, dass die Verfolgung der Teufelssekte vorrangige Aufgabe aller gesellschaftlichen Institutionen und der Bevölkerung war. So waren zum Beispiel in der Justiz viele Menschen mit der Durchführung der Hexenprozesse beschäftigt, so dass großes Interesse an immer neuen Hexenprozessen bestand zur Erhaltung der Arbeitsplätze.

Zu Beginn der Ökumenischen Dekade zur Überwindung der Gewalt rief der Ökumenische Rat der Kirchen 2001 dazu auf, den eigenen Anteil an der Gewalt zu akzeptieren, die Verantwortung dafür zu übernehmen und sich für die weltweite Überwindung von Gewalt einzusetzen. Daher sind die Kirchen aufgerufen, sich ihrer Mitverantwortung für die Hexenverfolgungen bewusst zu werden, denn die Kirchen und Christen sind in ihrer Mehrzahl damals gegenüber der zentralen christlichen Botschaft der Gottes- und Nächstenliebe schuldig geworden.

Diese Einsicht sollte in einer Stellungnahme der Kirchen heute zu der Bitte um Vergebung vor Gott und vor den Menschen und zum Gedenken an die Opfer führen.

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Hexen oder Heilige?

Die Gerichtsprotokolle überliefern uns Schilderungen der Verhöre der Frauen, Männer und Kinder, die der Hexerei angeklagt waren. Manche waren selbst unter schlimmen Foltern nicht dazu zu bewegen, den Vorwurf der Hexerei und der Mitgliedschaft in der Teufelssekte zuzugeben. Bis zuletzt haben sie an ihrem Glauben an ihren Herrgott festgehalten und sich zur heiligen Kirche bekannt. Sie haben sich als Märtyrer erwiesen.

Es gab keine "Hexen", sondern die Angeklagten wurden unter der Folter zu diesen Geständnissen gezwungen. Ohne Geständnis konnte nach der Carolina, der kaiserlichen Halsgerichtsordnung, kein Todesurteil verhängt werden.

Folterkammer 

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Die Christen-Ehre der Hexen wiederherstellen?

Noch heute wird in manchen Familien überliefert, dass eine der Vorfahren in einem Hexenprozess verbrannt wurde. Es ist zu beklagen, dass es in den Kirchen nie Bemühungen gegeben hat, ihre Christen-Ehre wieder herzustellen. In den meisten Orten sind die Namen der Opfer in Vergessenheit geraten. Nur an wenigen Orten erinnern Denkmäler an ihr Schicksal. Dies sollte Anstoß geben für eine glaubwürdige christliche Stellungnahme zu den Hexenverfolgungen als ein Beitrag zur kirchlichen "Dekade zur Überwindung der Gewalt". "Sich seiner historischen Verpflichtung zu stellen, kann den Opfern und ihren Nachkommen zumindest die ihnen geraubte Würde zurückgeben" (Bundesaußenminister Fischer). ´Die unschuldigen Opfer eines gnadenlosen Systems verdienen auch nach bald 350 Jahren unsere Achtung, jeder Name ein ehrenvolles Andenken. Darin liegt die Verpflichtung, sich der Gefahren totalitärer Systeme bewußt zu werden und die Würde jedes Menschen zu verteidigen´ (Dr. Alfred Bruns, Landesarchivdirektor Münster).

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Christliche Gegner der Hexenprozesse

Weitgehend in Vergessenheit geraten ist, dass es damals innerhalb der Kirche kritische Stimmen und engagierte Gegner der grausamen Folter und Hexenverfolgung gegeben hat. Das Engagement des katholischen Jesuiten Friedrich Spee von Langenfeld ist auch bei evangelischen Christen bekannt. Anonym gab er 1631 das Buch "Cautio criminalis" heraus, das sich gegen die damals übliche Vorgehensweise bei Hexenprozessen, insbesondere die Anwendung der Folter, wandte.

Schon 30 Jahre früher kämpfte der reformierte Pfarrer Anton Praetorius gegen die Hexenverfolgung. Unter den verdienstvollen Männern, die im 17. Jahrhundert "der damals so schrecklich wütenden Hexenverfolgung mutig entgegentraten, gebührt eine Ehrenstelle dem wackeren Anton Praetorius", schreibt Dr.Otto Schnettler, Beckumer Kreiskalender 1928. Auch im Schieferbergbau- Heimatmuseum Schmallenberg - Holthausen stößt man auf seinen Namen: "Der erste Westfale, der sich gegen die Hexenverfolgung wandte, war der gebürtige Lippstädter Anton Praetorius" (A. Bruns, Landesarchivdirektor a.D., Münster: Hexengerichtsbarkeit im kurkölnischen Sauerland, Schieferbergbau- Heimatmuseum Schmallenberg - Holthausen, 1984, S. 234).

Das Wirken dieses mutigen protestantischen Predigers ist fast in Vergessenheit geraten. Anton Praetorius trat öffentlich gegen Folter und Hexenprozesse ein. Wegen seiner schonungslosen Kritik an den menschenunwürdigen Prozessen und Gefängnissen seiner Zeit wird er als Vorläufer von "amnesty international" bezeichnet.

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Das Leben von Anton Praetorius

Geboren wird er 1560 als Sohn von Matthes Schulze in Lippstadt. Als Jugendlicher erlebt er Hexenprozesse mit, die mit Folterungen und Hexenverbrennungen einhergehen. Seine Ausbildung zum Lehrer veranlasst ihn, seinen Namen ins Lateinische zu setzen. Alte Urkunden im Archiv in Kamen belegen, dass er 1586 Rektor der Lateinschule zu Kamen wird. Praetorius heiratet und sein erster Sohn Johannes wird in Kamen geboren, doch dann hat seine Frau drei Fehlgeburten und stirbt. Seine nächste Frau stirbt an der Pest kurz nach der Hochzeit. Schließlich heiratet Praetorius die Tochter eines hessischen Pfarrers in der Nähe der Stadt Lich.

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Der Hexenprozess 1597: Wendepunkt seines Lebens

Später wirkt Praetorius als reformierter Hofprediger in Birstein im heutigen Hessen im Büdinger Land. Dort wird er vom Grafen am 4. Mai 1597 zum Mitglied des Gerichtes gegen vier Frauen berufen, die als Hexen angeklagt sind. Die Frauen werden gefoltert, um ein Geständnis von ihnen zu erpressen. Doch der Pfarrer Anton Praetorius erträgt die Schreie der gequälten Frauen nicht länger. Offen wendet er sich gegen den unmenschlichen Prozess, sodass der Schreiber der gräflichen Kanzlei vermerkt: "weil der Pfarrer alhie heftig dawieder gewesen, als man die Weiber peinigte, also ist es diesmal deßhalben unterlassen worden, da er mit großem Gestüm und Unbescheidenheit vor der Tür angericht den Herrn D. (= Dominum, d.h. den Grafen) angefordert und heftig contra Torturam geredet."

Auszug aus dem Protokoll des Hexenprozesses von 1597

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Konsequenzen für den Hofprediger

Will heißen: Der Pfarrer wettert derart gegen die Folter, dass der Prozess beendet und die noch lebende Gefangene freigelassen wird. Dies ist der einzig überlieferte Fall, dass ein Geistlicher während eines Hexenprozesses offen die Beendigung der unmenschlichen Folterungen verlangt - und Erfolg hat. Leider stirbt die Frau wenige Tage danach an den Folgen der Torturen. Der Graf ist über das Auftreten seines Hofpredigers außer sich, aber Anton Praetorius kommt mit dem Leben davon. Er fällt in Ungnade und wird entlassen. Schließlich findet er in der Nähe von Heidelberg im reformierten Dorf Laudenbach eine neue Pfarrstelle. Dort schreibt er zunächst unter einem Pseudonym und dann 1602 unter seinem eigenen Namen ein engagiertes Buch gegen die unchristlichen Hexenprozesse: "Gründlicher Bericht über Zauberey und Zauberer".

Titelseite von Praetorius Bericht von 1602

Er ist Christ, und seine alleinige Richtschnur ist die Bibel. Nach diesem Maßstab "sola scriptura" legt er dar, dass die lange Haft und Folter von Unschuldigen dem Geist und dem Buchstaben des Evangeliums widerspricht. Schonungslos attakiert er in seiner schlichten, bibelfesten Frömmigkeit Hexenrichter und ihre Obrigkeiten: "Oder denket ihr Menschenkinder, die ihr richtet, daß ihr dem Urteil Gottes entrinnen werdet? - O nein, o nein, liebe Herren, das wird euch nicht durchgehen..." Die Fürsten bekommen zu hören: "Liebe Herren, wie lange soll die Ehre Gottes unter euch also geschändet werden?"

Folterszene

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Vorsicht - Teufelsbuhle

Doch in diesen Zeiten muss man vorsichtig und klug vorgehen, sonst landet man selbst schnell auf dem Scheiterhaufen als "Teufelsbuhle", als Freund der Hexen. Praetorius trifft eine Vorsichtsmaßnahme, indem die erste Auflage des Buches unter einem anderen Namen herausgegeben wird. „Dass ich meinen Namen nicht genannt habe, ist wohlweislich geschehen, dieweil es in unseren trübseligen Zeiten mehr denn gefährlich ist, die Obrigkeiten und Richter anzutasten und den Fürsprecher für Hexen und Unholden zu machen, wie solches durch viele Exempel offen und am Tage“. Anton Praetorius wählt als Pseudonym den Namen seines dreizehnjährigen Sohnes Johannes Scultetum aus Kamen in Westfalen. Johannes Scultetum, das ist Johannes Schultze, und Schultze - das ist der frühere Namen von Anton Praetorius. Dieses Pseudonym hat lange Zeit dazu geführt, dass selbst gelehrte Forscher über Jahrhunderte hinweg dieses Werk nicht mit Anton Praetorius in Verbindung gebracht haben.

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Viele Prominente unterstützen Praetorius in ganz Deutschland

Praetorius kämpft viele Jahre unter Einsatz seines Lebens gegen Folter und Hexenprozesse und trägt so seinen Anteil zur späteren Überwindung der Hexenverfolgung bei. Die 3. Auflage seines Buches im Jahr 1613 kurz vor seinem Tode widmet er gleichgesinnten Gegnern der Hexenverfolgungen und Freunden in ganz Deutschland. Unter diesen Widmungen finden sich Pfarrer und Politiker aus Danzig und Anklam/Ostsee, daneben Superintendenten/Dekane aus der Gegend zwischen Frankfurt und Heidelberg, angesehene Männer aus Kamen und Personen des öffentlichen Lebens aus Unna. Es sind Richter, Pfarrer und Juristen, die offensichtlich Praetorius in seinem gefährlichen Kampf unterstützt haben.

Widmungen 1613

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400 jähriges Gedenken an sein couragiertes Wirken

2002 jährt sich zum 400. Mal die Herausgabe des epochalen Buches von Anton Praetorius, die "auf dem Gebiet des Hexenwesens zu den wenigen (gehört), welche dem 17.Jahrhundert zur Ehre gereichen", so die Einschätzung von H.P.Kneubühler.

Karte der Lebensstationen von Praetorius

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